Neues aus dem Fachverband
Gewaltfreie Erziehung – ein gesetzliches Signal mit Wirkungskraft
Bereits 23 EU-Staaten haben gesetzlich festgelegt, dass Kinder ohne körperliche oder psychische Gewalt aufwachsen sollen. Nun steht auch in der Schweiz eine entsprechende Verankerung bevor. Denn: Erziehung ist Privatsache – Gewalt an Kindern nicht. Anlässlich der nationalen Fachtagung des Schweizerischen Fachverbands Mütter- und Väterberatung (SF MVB) vom 4. April 2025 in Luzern habe ich zur geplanten gesetzlichen Verankerung der gewaltfreien Erziehung und was die Regelung für Fachpersonen bedeutet, referiert.
Warum das wichtig ist
Gewalt hat in der Erziehung keinen Platz – und doch erleben laut aktuellen Studien fast 50 Prozent der Kinder in der Schweiz zu Hause Gewalt. Jedes fünfte Kind erhält Schläge auf das Gesäss, jedes zehnte eine Ohrfeige. Über 20 % der Eltern geben an, regelmässig psychische Gewalt anzuwenden. Viele Eltern wenden Gewalt in Momenten der Erschöpfung und Überforderung an. Das geplante Gesetz setzt genau hier an: Es schafft keine Strafe, sondern ein gesellschaftliches Leitbild. Ziel ist es, Bewusstsein zu schaffen, Orientierung zu geben und die elterliche Verantwortung zu stärken, ohne Schuldzuweisung. Doch ein Gesetz allein verändert keine Erziehungsrealität. Es braucht einen Kulturwandel, getragen von Haltung, Wissen und unterstützenden Strukturen.
Was das für die Praxis bedeutet
Für Fachpersonen der Mütter- und Väterberatung entsteht durch das neue Gesetz ein klarer Rahmen, um mit Eltern über ihre Erziehungshaltung ins Gespräch zu kommen. Es stärkt die Legitimation, auch schwierige Themen wie psychische Gewalt, abwertende Kommunikation oder fehlende Selbstregulation bei Eltern und Sorgeberechtigte offen anzusprechen – stets mit dem Ziel, gemeinsam tragfähige Alternativen zu entwickeln. Gewaltfreie Erziehung bedeutet nicht, dass keine Grenzen gesetzt werden dürfen. Es geht darum, wie Regeln altersgerecht und entwicklungsfördernd gesetzt und gewaltfrei durchgesetzt werden.
Eltern gezielt stärken
Fachpersonen können Belastungssignale frühzeitig erkennen, Eltern emotional entlasten und sie in ihrer elterlichen Rolle stärken. Entscheidend dabei ist die Einschätzung des individuelle Stressniveaus: Ist der Elternteil offen und gesprächsbereit, gestresst oder akut überfordert? Je nach Situation braucht es unterschiedliche kommunikative Zugänge – von sachlichem Austausch über emotionale Validierung bis hin zu schrittweiser Stabilisierung.
Zentral ist, dass Eltern sich gesehen und nicht bewertet fühlen. Nur so entsteht die nötige Offenheit, um Verhalten zu reflektieren und nachhaltige Veränderungen anzugehen.
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Gewaltfreie Erziehung ist keine individuelle Herausforderung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Mütter- und Väterberatung nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein: als frühe Kontaktstelle, als verlässliche Unterstützung für Familien und als Brückenbauerin zwischen Alltagsrealität, Fachwissen und Kindesschutz. Die gesetzliche Verankerung verleiht dieser Rolle zusätzlichen Rückhalt und gibt der Überzeugung, dass jedes Kind Würde, Respekt und Schutz verdient, eine rechtlich verbindliche Form.

Weitere Informationen
- Psychische Gewalt in der Erziehung – Faktenblatt für Fachpersonen: www.kinderschutz.ch
- Niederschwelliges Elternbildungsangebot für Organisationen der Mütter- und Väterberatung: «Gewaltfrei erziehen. Gemeinsam wachsen.» Der Kurs soll ab 1. 1 2026 auf Deutsch und Französisch zur Verfügung stehen.
- Nationalen Netzwerks «Gewaltfreie Erziehung»